Die Maske namens „Internet“

Oder auch: warum sich manche Menschen daneben benehmen, das Netz ein Zufluchtsort ist und es mir egal ist, ob ich anonym blogge oder nicht.


Das Internet. Unendliche Weiten. Man kann sich unterhalten, Menschen kennenlernen, posten, twittern, schreiben, Videos teilen, Videos machen und das alles, wenn man möchte, komplett anonym. Man beobachtet immer wieder, wie sich viele hinter ihrer netzgegebenen Anonymität verstecken und sie zum Anlass nehmen, ein Arschloch zu sein. Nicht, dass einige davon es im echten Leben nicht wären, aber ich gehe davon aus, dass diese Anonymität, diese „Maske“, den meisten ein Gefühl von Sicherheit gibt. Catarina Katzer, Volkswirtschaftlerin und Sozialpsychologin, drückte es in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen so aus:

„Hier ist ja kein Fremder dabei! Und dieses Gefühl schleppe ich auch mit ins Netz. Sobald ich mich im sozialen Netzwerk bewege, bin ich zwar mit vielen Leuten verbunden, aber mein Hirn nimmt das nicht so wahr. Ich sitze ja gemütlich bei mir zu Hause, und die Tür ist zu. Wir unterliegen da einer Privatheitsillusion und merken nicht, dass da eigentlich hunderte von Leuten mit mir auf dem Sofa sitzen.“

Während dies natürlich für viele negative Stimmen im Netz sorgt, was man besonders bei meiner – ihr kennt sie schon – Lieblingsplattform Twitter sehen kann, so hilft sie mindestens genauso vielen Personen ihre Identität zu schützen, damit sie sich frei von Vorurteilen oder der Angst, vom Chef oder Kollegen entdeckt zu werden, im Netz bewegen können. Das Internet wird an dieser Stelle eine Art Zufluchtsort aus der Realität, man könnte in weiterem Sinne fast schon behaupten, es sei eine Heterotopie nach Foucault. (Den literarischen Seitenhieb habt ihr meinem Literaturdozenten zu verdanken.) In letzter Zeit durfte ich immer wieder beobachten, wie Menschen das Internet genutzt haben, um Spenden für einen guten Zweck zu sammeln, sich trotz anonymer Accounts gegenseitig motiviert und oftmals auch den Schritt raus aus den sicheren Gefilden des Netzes hinaus in die reale Welt gemacht haben. Katzer im Interview dazu:

„Gruppen, die sich bilden, um Flüchtlingen zu helfen. Gruppen, die Geld sammeln, oder anderen eine Chance geben, durch Crowdfunding zum Beispiel. Manche Projekte würden gar nicht zustanden kommen, wenn es solche Plattformen nicht gäbe.“

Die Halb-Anonymität

Betrachte ich dies einmal in meinem persönlichen Umfeld kann ich sagen, dass sich zwar so gut wie alle einen Alias bei Twitter zugelegt haben, aber viele von uns sind dennoch nicht ganz so anonym unterwegs: wir schreiben, wo wir gerade sind, was wir machen. Wir posten Bilder von uns, von Freunden, von Orten, und geben so ein großes Stück unserer Anonymität auf. Wenn es jemand besonders darauf angelegt hätte, müsste derjenige nur ein wenig suchen und könnte zumindest den Wohnort ausfindig machen. Maske adé!
Sobald man jedoch von den (seien wir ehrlich) eher trivialen Twitter-Profilen rübergeht auf die Blogging-Plattformen bewegt man sich wie an Schaufenstern aus Milchglas vorbei. Man sieht Sil­hou­et­ten, Schatten, des Bloggenden, mehr aber auch nicht. Bleibt man vor einem Schaufenster stehen, kann man sich die Auslage anschauen, vielleicht liest man auch ein paar Artikel und erfährt so – oftmals sehr intime – Details über Personen, die man weder kennt, noch weiß man, wer diese Person im realen Leben ist. Es könnte alles erfunden sein, aber es könnte auch alles der Wahrheit entsprechen – vielleicht auch etwas dazwischen. Einige Leute legen sich regelrecht eine zweite Identität zu, was in manch einem Fall auf Dauer vielleicht doch ungesund werden kann. Die Diplompsychologin Heike-Kaiser Hehl sagt dazu:

„Wer sich für Facebook und Co ein zweites Ich erschafft, kann in seiner Eigenkreation gefangen bleiben. Im Extremfall zieht sich derjenige aus der wirklichen Welt zurück, weil er von den echten Freunden nicht enttarnt werden will.“

Aus: „Ich will mehr Likes!“; Spiegel Online (Stand 15.01.2019)

Natürlich bloggen auch genauso viele mit ihrer realen Identität, allerdings sind die meisten, die mir spontan einfallen, davon entweder hauptberuflich Blogger oder haben auch beruflich mit Schreiben generell zu tun. Ich hingegen gehöre da nicht zu und blogge einfach nur, weil es Spaß macht, ich der Meinung bin, dass das worüber ich mir Gedanken mache in die Welt getragen werden muss oder ich hoffe, das ganze irgendwann einmal als Bewerbungsmaterial nutzen zu können (haha).

UND WAS IST MIT DEINER ZUKUNFT?!“

Eine meiner Lieblingsfragen zu diesem Thema. Ich bin tatsächlich schon gefragt worden, ob ich mir denn Gedanken darüber machte, welche Auswirkungen meine Schreiberei, meine Aktivität in sozialen Medien, auf meine (berufliche) Zukunft haben könnten, da ich nun einmal eben nicht anonym bin. Ich schreibe ja schließlich auch über delikate Themen und man müsse da ja aufpassen! Natürlich mache ich mir Gedanken darum, was ein zukünftiger Arbeitgeber von mir denken könnte, sollte er durch Zufall auf meine Internet-Präsenz stoßen. Jedoch denke ich nicht, dass ich bei jemandem, dem das wichtig ist, oder der mich nicht einstellen sollte, weil ich über Sex, Menstruation und BDSM blogge, arbeiten wollen würde. Genauso wie bei Tattoos oder Piercing sehe ich hier einfach meinen Selbstverwirklichungsdrang als stärker an als mein Bedürfnis nach einem normalen Job: wer mit mir und meinen Tattoos, Piercings, Blogs, whatever nicht klarkommt, bei dem kann und will ich dann auch nicht arbeiten. Ganz einfach. Das mag vielleicht naiver Wahnsinn sein, aber ein bisschen Wahnsinn hat noch niemandem geschadet, nicht wahr?

„Du kannst doch nicht über solche Themen schreiben, wenn man dich kennt! Was sollen denn die Leute denken!!!“

Kennt ihr diesen hübschen Mittelfinger-Emoji…? Genau.
Ich finde es durchaus wichtig über solche Themen zu schreiben, besonders da mein Blog ein Gesicht hat. Allein letztes Jahr, als ich über Menstruation geschrieben habe, habe ich so unglaublich viel positives Feedback bekommen. Das hat mir gezeigt, dass sich viele, die meinen Artikel gelesen haben, damit identifizieren konnten. Für mich war es das erste Mal, dass ein Artikel eine große Reichweite erzielt hat und ich muss sagen, dass es ein tolles Gefühl war – besonders oder gerade wegen der tollen Rückmeldungen.

Um nun den Bogen zurück zur beruflichen Zukunft zu spannen: wenn ich es schaffen sollte würde ich gerne spätestens nach meinem Studium als Texterin arbeiten und mehr solcher Artikel schreiben. Vielleicht sogar für ein Erotik-/Fetisch-Magazin und die sollten sich nun wirklich nicht über meine schriftlichen Leichen der Vergangenheit aufregen, oder?

Ich kann durchaus verstehen, warum jemand die Anonymität des Netzes zum schreiben bevorzugt und warum es manchmal sogar ratsam ist, diese zu nutzen. Irgendwo im Netz fliegen auch Accounts von mir durch die Gegend, auf welchen ich anonym bin (hallo reddit), aber hier, wo ich ich bin – da will ich nicht anonym sein und werde meine Offenheit nach Möglichkeit bewahren. Nur mein Impressum hat mittlerweile ein Alias bekommen. Irgendwo hört dann auch bei mir die Offenheit auf.

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